Heute vor 25 Jahren ist mein Vater verstorben. Man hat die Maschinen abgestellt, mit denen er nach einem Schlaganfall in einem künstlichen Koma gehalten wurde. Er wurde nur 68 Jahre alt. Als ich das Licht der Welt erblickte war er bereits 46 Jahre alt, so wie alt wie ich es jetzt bin.
Den Arbeitstag verbrachte ich heute im Büro, zur Abwechslung war ich mal wieder vor 8 Uhr schon fleißig. Gegen 14:00 Uhr war aber die Luft raus. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren und trat die Heimreise an.
Daheim klickte ich mich durch die Fotosammlung. Damals haben mein Vater und ich uns nicht immer gut verstanden. Ich bin halt nicht so geworden wie er und auch nicht so, wie er mich gern gehabt hätte. Beim Ansehen der Fotos fiel mir aber auf, dass wir uns doch sehr ähnlich sind. Er lebte nicht wirklich gesund, was er in seinen letzten Jahren auch deutlich zu spüren bekam. Ich bin ja auch ein böser Diabetiker, also einer, der nicht auf Zucker verzichten kann und will. Mein Vater blühte aber richtig auf, wenn er Publikum hatte. Als Alleinunterhalter auf Feiern, beim Witze erzählen in der Kneipe oder mit seinem Leierkasten in den Straßen Nürnbergs oder vor dem Frankenstadion. Auch ich verstehe es, die Leute, die ich gern habe, zu unterhalten und Publikum habe ich als DJ ja auch immer wieder. Die Liebe und das Talent zum Tanz verbindet uns ebenfalls.
Damals habe ich es nicht verstanden, erst jetzt weiß ich aber, dass er nicht nur körperlich eingeschränkt war. Arthrose und Atemprobleme bremsten ihn aus. Bei mir ist es Übergewicht und eben die Diabetes. Wie es ihm psychisch ging hat er immer gut verborgen. Als Kind hat er den Krieg miterlebt und wuchs danach in den Ruinen Deutschlands auf. Das kann ich nicht nachempfinden, bei aller Empathie. Wie es mir wirklich geht? Das weiß auch niemand. Interessiert ja auch niemanden und geht auch niemanden etwas an. Ich habe ja versucht professionelle Hilfe zu finden, auch vor Corona schon, doch diese blieb mir aus unterschiedlichen Gründen verwehrt.
Immerhin hat er aber die Frau fürs Leben gefunden und meine Mutter war nicht seine erste Ehefrau. Von mir war er schon enttäuscht, dass ich mit den Frauen so gar nichts auf die Reihe gebracht habe. Nur einmal und auch das hielt ja nicht lange an. Dass ich Single bin, das hält bis heute an. Dass ich im Rock herumspaziere fand er auch nicht so toll. Er hatte kein Problem mit Paradiesvögeln, für mich hatte er sich nur etwas Anderes gewünscht. Ihm war auch klar, dass es meine Chancen bei den Frauen auch nicht gerade verbessert.
Uns verbindet, dass wir uns immer treu geblieben sind. Wir haben den Mund aufgemacht, wenn es bequemer gewesen wäre zu schweigen. Wir haben beide unser jeweiliges Publikum genossen, haben beide Jobs bei Schaustellern übernommen und meine Mutter mit unseren Eigenheiten in den Wahnsinn getrieben. Heutzutage würden wir uns wohl deutlich besser verstehen. Vielleicht wäre er auch gar nicht mehr so enttäuscht über meine Entwicklung.
Leider kann ich nicht mit ihm anstoßen und muss das Bier aus dem FCN-Krug alleine trinken, in seinen Ehren.
Damit es auch hier mal verkündet ist: Wenn meine Zeit mal gekommen ist, hängt mich nicht an irgendwelche Maschinen. Lasst mich gehen und bedenkt meinen Organspender-Ausweis.