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Elternhaus

Vorwort

Wenn man von einer "schweren Kindheit" hört, dann hat man wohl ganz automatisch schlimme Bilder im Kopf. Ich hatte keine schlimme Kindheit. Außerdem will ich auch nicht einer von denen sein, die mit Mitte 40 ihre Probleme und Schwächen auf die Kindheit zurückführen. Da meine Eltern inzwischen bereits verstorben sind ließe sich ohnehin nichts mehr aufarbeiten.

Ja, in meiner Kindheit ging so manches daneben und einiges davon beschäftigt mich immer wieder mal.


Das Familienleben hatte nun also begonnen. Die Eltern hatten geheiratet und ich habe sogar noch Gottes Segen bekommen. Zwischen Geburt und Taufe mussten meine Eltern aber noch eine andere Hürde nehmen. Eine gemeinsame Wohnung musste noch her.

Meine Eltern hatten Glück. Sie fanden eine nette Drei-Zimmer-Wohnung in der Nürnberger Altstadt, sogar immer noch im selben Stadtteil. Meine Mutter war innerhalb weniger Minuten zur Arbeit gelaufen und wir hatten alle Einrichtungen des täglichen Bedarfs ganz in der Nähe.

Dieses Haus in der Judengasse in Nürnberg ist meine Heimat. Ja, es gibt in Nürnberg eine Judengasse und die gab es auch schon vor und während der Regierung des irren Österreichers. Sie befindet sich sogar ganz in der Nähe des Hauptmarktes, auf dem Adi ja gerne mal aufmarschieren ließ. Vielleicht hat es ihm keiner gesagt.

Die Nachbarschaft im Haus war in Ordnung, andere Kinder gab es aber nicht. Zum Haus gehörte ein kleiner Hinterhof, in dem ich manchmal spielen konnte, manchmal gegrillt wurde oder sich Nachbarn auch einfach mal so trafen. Die meiste Zeit aber hing da die frisch gewaschene Wäsche der Leute. Manchmal wurde ich nachts aus dem Schlaf gerissen, wenn Jemand vor dem Haus mit hohem Tempo über das Kopfsteinpflaster fuhr. Manchmal hörte man auch Feuerwehr, Polizei oder Krankenwagen durchfahren. Alles nur Gewöhnungssache, irgendwann habe ich das nicht mehr mitbekommen und konnte ruhig schlafen.

Auch wenn ich nicht geschlafen habe, so war ich laut Erzählungen ein ruhiges Kind. Am liebsten habe ich mit Lego etwas gebaut oder mit Matchbox-Autos gespielt. Davon hatte ich schon früh eine enorm große Sammlung, die aber über die Jahre immer kleiner wurde.

Dennoch waren meine Eltern mit den Nachbarn im Haus nicht befreundet. Man kannte sich, man grüßte sich, doch zu mehr hat es nicht gereicht. Bei den Nachbarn in den angrenzenden Häusern kannten wir in den meisten Fällen nichtmal die Namen. Die Anonymität der Großstadt war also auch früher schon ein Problem. Mit der Einschulung änderte sich das dann, viele meiner Mitschüler wohnten schließlich im näheren Umfeld.

Irgendetwas schien der Familie allerdings zu fehlen. Vielleicht hat es mit der Beziehung meiner Eltern schon Probleme gegeben. Zum Eheleben hatte man sich ja nicht ganz freiwillig entschieden und nun hatte man jede Menge Pflichten und von Beginn an eine angespannte finanzielle Situation.

Was also fehlte noch zum großen Eheglück?
Ein weiteres Kind. Im Februar 1982 erblickte meine Schwester das Licht der Welt. Im Gegensatz zu mir war sie also ein Wunschkind. Dieser Umstand allein führte über die Jahre hinweg immer wieder zu Geschwister-Rivalitäten. Ja, ich war eifersüchtig auf all die Aufmerksamkeit, die meine Schwester bekam. Ein bißchen mehr Aufmerksamkeit hätte ich mir für mich schon gewünscht. Mehr dazu in einem späteren Kapitel.

Die Wohnverhältnisse waren nun etwas problematisch. Es war ja eine Drei-Zimmer-Wohnung, also mussten meine Schwester und ich uns ein Zimmer teilen. "Das hat man halt früher so gemacht" war immer wieder das Argument. Heutzutage sieht man das vielleicht etwas anders. So ganz ohne Rückzugsort, ohne Privats- und später gar Intimssphäre ist halt doch eine "besondere" Situation.

Das Verhältnis zu meiner Schwester ist auch heute nicht das, was landläufig als "normal" bezeichnet würde. Wir sind nicht wie Fernsehfamilien der 80er, es sei denn man rechnet die Bundys und die Simpsons mit.

In diesem Gebäude befindet sich heute wie damals ein Kindergarten. Viel weiß ich aus dieser Zeit natürlich nicht mehr, außer dass mich der Mittagsschlaf eher genervt hat. Geschlafen habe ich selten, ich lag eher wach und dachte über irgendetwas nach.

Das früheste "Trauma" spielte sich hier zu. Da meine Mutter in Vollzeit berufstätig war, blieb es an meinem Vater hängen mich morgens zum Kindergarten zu bringen und am Nachmittag wieder abzuholen. Genau das geschah an einem Wintertag aber nicht. Eine ungewöhnliche Situation.

Nach und nach wurden alle Kinder abgeholt, es wurde immer ruhiger im ganzen Haus. Die Kindergärtnerinnen wollten wohl in ihren wohlverdienten Feierabend, doch das ging nicht. Bestimmt hat man mehrfach versucht meinen Vater anzurufen, während es draußen immer dunkler wurde. Ich erinnere mich an das ungute Gefühl, die fast unheimliche Ruhe dort und die angespannte Stimmung.

Irgendwann tauchte mein Vater schließlich auf und musste erstmal ein paar Antworten geben. Seine Erklärung war kurz und bündig. Vergessen. Er hätte es einfach vergessen mich abzuholen. Es war nichts passiert, er war nicht in der Kneipe und auch die Uhr ist nicht stehen geblieben.

Bis heute verstehe ich das nicht. Man kann ja sicher alles Mögliche vergessen, aber man vergisst doch nicht dass da immer ein kleiner Junge durch die Wohnung rennt. Es fällt doch auf wenn der eben mal nicht da ist. Dann fragt man sich doch wo der Kerl ist und spätestens dann geht das Licht auf.

Besprochen wurde das Thema im Nachhinein nicht mehr. Eine Begründung gab es ja und damit sollte es dann schließlich gut sein. Ich hätte eine positive Erinnerung haben können, oder auch gar keine. Stattdessen ist mir diese Begebenheit bis heute im Kopf geblieben.

Vielleicht war das der Anfang, vielleicht schaffte das die negativ belastete Achtsamkeit und es fiel mir von da an stärker auf wenn ich vergessen wurde. Im Kindergarten kam das nicht mehr vor, es war meinem Vater wohl zu peinlich. Leider gab es aber noch andere Gelegenheiten, eine besondere während meiner Schulzeit. Darüber mehr im nächsten Kapitel.


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