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Zivildienst

Für meinen Vater folgte eine weitere, große Enttäuschung. Irgendwann in meiner Kindheit war die Bundeswehr interessant für mich. Einen Panzer zu fahren würde sicher Spaß machen. Als dann aber der Brief vom Kreiswehrersatzamt kam änderte ich meine Meinung. Mein Vater versuchte mich noch zu überreden, schließlich könne man beim Bund alle Führerscheine machen und sogar kostenlos. Vielleicht stimmte das sogar, doch es war nicht interessant für mich. Diese Diskussion hatten wir später noch einmal, als eine Freundin der Familie anbot, mir ihr Auto zur Verfügung zu stellen. Ich wusste aber gleich, was das bedeutete. Am Ende wäre ich sowohl für sie als auch für meinen Vater der Fahrer gewesen und darauf hatte ich erst Recht keine Lust. Die Maiers sind und waren keine Autofahrer.

Zurück zum Thema. Kurz vor der Musterung sah ich den Film "Full Metal Jacket" und damit war die Bundeswehr für mich erledigt. Mir war schon klar, dass es bei den US Marines härter zugeht, doch vom Kern her ist es doch die selbe Erfahrung. Daheim hatte ich ein halbes Zimmer, in der Kaserne hätte ich mehrere Kameraden auf der Stube. Klingt überhaupt nicht gut. Wenn ich Fehler machen würde, wird vielleicht tatsächlich die ganze Kompanie bestraft und dann hätte ich richtig Probleme. Außerdem hatte ich damals schon ein Problem mit Autorität. Wenn irgendein Offizier mir was befiehlt, müsste ich das ohne Widerworte einfach machen. Das wäre nicht gut gegangen. Bis heute bin ich sehr stolz darauf, dass durch mich noch nie Jemand zu körperlichem Schaden kam. Dabei soll und wird es bleiben.

Kleine Anekdote:
Damals hat sich Niemand, auch Alice Schwarzer, übrigens nicht beschwert dass die Wehrpflicht nur für junge Männer gilt. Im Zuge der Gleichberechtigung hätten doch auch junge Frauen an die Waffe oder in den sozialen Dienst gezwungen werden müssen. Frauen durften, mussten aber nicht. Ich halte daher nichts von Gleichberechtigung, bin allerdings ein Unterstützer von Gleichstellung zwischen Mann und Frau.

Die Wehrpflicht brachte einen Nachteil mit sich, nämlich dass viele Firmen einen nicht als Auszubildenden anstellen würden, solange man den Dienst nicht geleistet hat. Darauf hat man mich sogar beim Arbeitsamt hingewiesen und es entspricht meiner Erfahrung. Also erstmal Zivildienst leisten und dann würde man weiter sehen. Erst als ich auf den Tag genau angeben konnte wann ich den Zivildienst beendet habe, hatte eine Bewerbung Erfolg.

Meine Verweigerung wurde gleich im ersten Anlauf akzeptiert. Damit hatten sich die zehn Monate Wehrdienst für mich erledigt. Dafür musste ich 13 Monate Zivildienst leisten. Von nun an war das Bundesamt für Zivildienst für mich zuständig. Für mich bedeutete das, dass ich noch mehr Bewerbungen schreiben müsse. Einmal für einen Ausbildungsplatz und einmal für eine Stelle als Zivi. Über die Caritas fand ich diese Stelle dann auch, in einem Alten- und Pflegeheim hier in Nürnberg. Das war mir ganz besonders wichtig, denn inzwischen war ich über beide Ohren in meine Julia verliebt. Da konnte ich doch nicht die Stadt verlassen.

So sah ich damals, 1997, aus.

Am 04. August 1997 hatte ich dann meinen ersten Tag. Ich bekam eine Einweisung, lernte die Kolleg*Innen kennen, bekam Kleidung zur Verfügung gestellt und wurde in den Dienstplan eingetragen. Die Nachtschicht blieb mir erspart, Früh- und Spätschicht machte ich aber mit.

Die Frühschicht ging von 6:00 bis 13:45 Uhr. Die letzte halbe Stunde war immer die Übergabe an die Spätschicht. In der Frühschicht mussten die Bewohner*Innen geweckt, gewaschen und bekleidet werden. Das Frühstück musste ausgeliefert werden und ich musste überwachen, dass auch die Medikamente eingenommen werden. Während die Bewohner*Innen bei der Gymnastik oder anderen Aktivitäten waren wurden die Zimmer aufgeräumt und das Mittagessen vorbereitet. Schon damals herrschte in der Pflege Personalmangel. Auf Station waren wir immer nur zu dritt, mich eingerechnet. Zu wenig für die Betreuung von 20 Personen. Man hat den Dienst zwar immer ganz gut geschafft, doch wenn man sich für Jemanden mal etwas mehr Zeit nehmen wollte wurde das schon richtig knapp.

Die Spätschicht ging von 13:15 bis 21:00 Uhr. Diese war etwas entspannter, da die Bewohner*Innen nach dem Mittagessen gerne ein Mittagsschläfchen hielten und auch nachmittags diverse Aktivitäten angeboten waren. So hatten wir Zeit das Abendessen, die Medikamente und die Zimmer für den Abend vorzubereiten. Wir halfen beim Umziehen, bei der Körperhygiene, verabreichten Medikamente und hatten auch mehr Zeit für ein kleines Gespräch zwischen den Generationen.

In den 13 Monaten Zivildienst erlebte ich richtige Kollegialität auf Augenhöhe, selbst mit dem Chef bzw. der Chefin. Wir waren wirklich ein Team und ich war vom ersten Tag an ein vollwertiges Mitglied. Zu keinem Zeitpunkt kam ich mir irgendwie minderwertig vor. Genau das brachte mir den Respekt bei, die Stationsvorsteher hatten ganz klar das Sagen und auch im größten Stress war es ein angenehmes Miteinander. Wir waren eine international gut gemischte Gruppe, manchmal gab es eine sprachliche Barriere oder ein kleines Missverständnis, doch spätestens am Ende der Schicht war alles wieder bestens. Keine Intrigen, kein Gerede hintenrum. So wie man sich das eben wünscht, so wie es eben überall, in allen Berufen sein sollte.

Nicht nur mit den Kolleg*Innen war alles bestens, auch bei den Bewohner*Innen war ich sehr beliebt. Man merkte mir an dass ich den Job mit viel Herz und Engagement machte. Mein großes Mundwerk schaffte es immer wieder, den lieben Leuten ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Manche waren ja schon 90 Jahre alt und hatten also zwei Weltkriege miterlebt und überlebt. Wer das nicht erlebt hat kann sich wohl nicht vorstellen, was der Krieg mit den Menschen macht, die ihn überleben. Niemand weiß, wen sie verloren haben oder wovon sie nachts träumen. Da ist jedes einzelne Lächeln umso kostbarer.

Zweimal habe ich einen Todesfall miterlebt, beide in der Spätschicht. Im ersten fand mein Kollege die Bewohnerin leblos vor. Wir informierten den Notarzt, der auch nur noch den Tod feststellen konnte. Mein Kollege überließ es mir, ob ich bei der Präparation der Leiche mithelfen wolle. Ich empfand es als meine Pflicht. Meinen Kollegen gerade jetzt mit so einer Arbeit allein zu lassen wäre einfach falsch. Nachdem es auf der Station ruhig wurde, fuhren wir das Bett mit der Verstorbenen in den Keller. Dort wurde erfolgte die letzte Ölung, die genau das war. Der tote Körper wurde dann in ein entsprechend großes Kühlfach geschoben und am nächsten Tag abgeholt. Wir blieben etwas länger und sprachen über dieses Erlebnis. Mir wurde psychologische Betreuung angeboten, doch ich konnte alles ganz gut verarbeiten. Der Tod gehört nunmal zum Leben und ist in manchen Fällen auch eine Erlösung. Auch wir trugen mit unserer letzten Pflege dazu bei, der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Beim zweiten Fall hatte ich eine über 90jährige Bewohnerin gerade zu Bett gebracht. Sie bat darum, dass ich noch ein wenig bleiben und ihre Hand halten würde. Die Zeit gab es her und ich setzte mich neben ihr Bett. Plötzlich drückte sie meine Hand mit erstaunlicher Stärke. Dann atmete sie ein letztes Mal aus und schloss die Augen. Sie verstarb. Gevatter Tod war im Raum. Ich löste den Alarm aus, meine Kollegin kam angelaufen, doch wir konnten nichts mehr tun. Erneut half ich bei der Prozedur und erneut bekam ich die Betreuung angeboten. Mir ging es jedoch gut. Die alte Dame hatte es gewusst, deswegen wollte sie ja dass ich noch bei ihr bleibe. Ihren letzten Wunsch, nicht allein sterben zu müssen, konnte ich ihr erfüllen. Nach einem langen Leben mit vielen Freunden und Verwandten, viel Leid und viel Freude, durfte ich diesen letzten Moment mit ihr teilen. Ich half ihr.

 

Nach 13 Monaten hatte ich meinen Dienst geschafft und der Abschied fiel mir tatsächlich sehr schwer. Inzwischen war ich wieder Single und ich wusste schon, dass mich nun ein Bürojob erwarten würde. Bis heute halte ich die Pflicht zum Wehr- oder Ersatzdienst für eine gute Sache. Gerade in der aktuellen Situation wäre im Pflegebereich schon viel geholfen, wenn man sowohl junge Männer als auch Frauen verpflichten könnte.


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